Leistungseinschränkung? Ergometrie - Spiroergometrie - Belastungstest

Begonnen von ex.pectus, 30. April 2013, 20:51:54

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ex.pectus

Eine Trichterbrust kann - muss aber natürlich nicht - zu Leistungseinschränkungen führen. Und die Ergometrie (=Belastungstest bspw. auf Fahrrad/Laufband) ist ein Verfahren zur objektiven, individuellen Leistungsermittlung.

D.h. mit einer Ergometrie könnte man eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit feststellen. Allerdings ist es ein Problem, dass man zwar die Leistung ganz gut ermitteln kann, aber deren Interpretation nicht ganz so einfach ist. Denn die Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit hat viele Einflussfaktoren, u.a. den Trainingszustand.


Wie sind eure Erfahrungen mit Belastungstests (in allen Varianten)? Welche Ergebnisse sind dabei herausgekommen (Leistung in Watt und sonstige Nebenaspekte)? Vergleich vor und nach OP?

Kam als Ergebnis auch mal heraus, dass eine Leistungseinschränkung mit der Trichterbrust zusammenhängt? Verbesserungen nach einer OP (durch OP)?
Trichter-/Kielbrust Nuss-OP 22.10.2010 (43 J, m, 185 cm, 71,5 kg, Berlin-Buch Prof. Schaarschmidt)
2. OP=Bügelentfernung 20.11.2013 (Magdeburg, Dr. Lützenberg)
meine Trichterbrust-OP-Seite

ex.pectus

zum Thema hier ein paar Definitionen und Erläuterungen:

Leistungsfähigkeit:
Maximal erreichbare Leistungsstufe für eine gegebene Beanspruchung

Belastbarkeit:
Die höchste Belastungsstufe, die erreicht werden kann, ohne dass pathologische Symptome oder Befunde auftreten oder ohne schwerwiegende Verschlechterung vorhandener pathologischer Befunde

Einflussgrößen auf Belastungstests (u.a.):
  • Alter, Größe, Gewicht, Körperoberfläche, Geschlecht
  • Trainingszustand, Ãœbung, Ãœbungsmangel, Nahrungsaufnahme, Nikotin- und Alkoholgebrauch,
    Medikamenteneinnahme, Psychische Faktoren

Sollwerte (=Normalwerte/Referenzwerte) (allgemein):
dienen zur Abgrenzung zwischen gesund und krank. Der Übergang ist dabei fließend, die Grenzen werden etwas willkürlich festgelegt. Abweichungen von einem Mittelwert werden in der Regel dann als pathologisch bezeichnet, wenn sie die zweifache Standardabweichung überschreiten.

Beispiele für konkrete Sollwerte für die maximale Leistung:

1. Beispiel:


2. Beispiel:
praktische Abschätzung für die Sollleistung in Watt

                    allgemein           Breiten- und
Leistungssportler           
Spitzensportler
Männer          KG*3+10%        KG*4    KG*5 bis KG*6   
Frauen           KG*2,5-10%    -"- abzgl. 10 bis 15%-"- abzgl. 10 bis 15%
(abzüglich 10% für jedes Lebensjahrzehnt ab dem 40. Lebensjahr; KG: Körpergewicht in kg)

- bei maximaler Leistung bis 50 W (bei ausreichender Mitarbeit): erheblich eingeschränkte Leistungsfähigkeit,
- oberhalb von 125 W: weitgehend normale Leistungsfähigkeit (pathologische Befunde können dabei nicht immer ausgeschlossen werden)
Trichter-/Kielbrust Nuss-OP 22.10.2010 (43 J, m, 185 cm, 71,5 kg, Berlin-Buch Prof. Schaarschmidt)
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in der an anderer Stelle schon erwähnten aktuellen Dissertation wird auch auf das Thema im Betreff eingegangen. Ich zitiere mal etwas ausführlicher, um das nicht aus dem Zusammenhang zu reißen:


                                  2.7.4.  Kardiopulmonale Funktionsdiagnostik
Sowohl statische als auch in Belastung durchgeführte Lungenfunktionstests können hilfreich sein, um mögliche Auswirkungen der Trichterbrust auf die Lunge aufzudecken. Statische Lungenfunktionstests sind am wenigsten sensitiv, können aber eine restriktive Atemwegerkrankung aufzeigen. Patienten können auch an einer leichten obstruktiven Atemwegerkrankung leiden. Trotzdem werden die meisten Trichterbrustpatienten, auch mit einer signifikanten Trichterbrust, kein pathologisches Ergebnis in der statischen Lungenfunktionsdiagnostik aufweisen [37]. Mithilfe Kardiopulmonaler Tests kann die Menge an Sauerstoff, die zu den Geweben transportiert wird, während einer Belastung gemessen werden. Eine Abnahme des Sauerstoffpulses und die Menge von Sauerstoff die transportiert wird, können bei Trichterbrustpatienten signifikant niedriger sein. Niedrige bis normale Werte zeigen an, dass der Patient von einer Operation profitieren würde  [37]. Auch ein 12-Kanal EKG sollte bei jedem Trichterbrustpatienten präoperativ durchgeführt werden, um etwaige Rhythmusstörungen aufzudecken [37]. Zusätzlich ist ein Echokardiogramm sinnvoll sein, da das eingedrückte Brustbein den rechten Vorhof und den rechten Ventrikel einengen kann. Ein Mitralklappenprolaps,  der häufig bei Trichterbrustpatienten auftritt, kann so diagnostiziert werden. Speziell für Patienten mit Verdacht auf Marfan Syndrom ist die Echokardiographie wichtig, um so die Aortenwurzel und â€"klappe beurteilen zu können [37].
Zepnik, Felicitas: Evaluation des peri- und postoperativen Verlaufs bei der minimalisierten Erlanger Trichterbrustkorrektur nach Hümmer, S. 25

Und in der in der Fussnote genannten Quelle heißt es bei Dr. Dawn Jaroszewski, wobei ich die Reihenfolge dem Zitat angepasst habe:



                    Pulmonary Functions
Both static and exercise pulmonary function tests may be useful in eliciting a physiologic effect of the PE defect on the patient. Static pulmonary function tests are the least sensitive but may show a significant decrease in forced vital capacity and maximal ventilatory volumes, which indicate restrictive airway disease. Patients may also have evidence of mild obstructive airway disease. In general, most patients with significant PE will still have a normal or low-normal static pulmonary function test.

Cardiopulmonary Exercise Testing
Cardiopulmonary exercise testing can also be used to show significant physiologic effects of the PE. The amount of oxygen that can be delivered to the tissues with exercise can be examined. A decrease in the O2 pulse (mL/beat) and amount of oxygen that could be delivered (Vo2 L/min and Ve L/min) may be significantly below predicted values in patients with PE.24,36 Low-normal and below-normal values indicate that surgical correction could benefit the patient.22,24,25,36,48

Electrocardiogram
Documentation of any dysrhythmias should be done with a 12-lead electrocardiogram.

Transthoracic or Transesophageal Echocardiogram
It may be useful to perform an echocardiogram because the depressed sternum may compress the right atrium and right ventricle, interfering with diastolic filling of these structures.36 Mitral valve prolapse is commonly seen among patients with PE and should also be documented if it is present. Evaluation of the aortic root and valve is also critical in patients with suspected or confirmed Marfan syndrome.
Jaroszewski, D: Current Management of Pectus Excavatum: A Review and Update of Therapy and Treatment Recommendations

Also dieser Grad der Übereinstimmung ist schon verblüffend. Aber in der zentralen Aussage des Nutzens einer TB-OP gibt es eine gravierende Abweichung. In der deutschen Arbeit heißt es, dass Patienten mit niedrigen bis normalen Werten von einer OP profitieren würden. In der genannten Quelle, ist aber nur die Rede von "low-normal and below-normal" und "could", was ich so verstehen würde, dass Patienten mit Werten im niedrigen Normalbereich und unter der Norm profitieren könnten. Das ist etwas komplett anderes. Entweder schlecht übersetzt oder unvollständig/unsauber belegt. Schade.

Und diese Werte, von denen hier die Rede ist, also der Sauerstoffpuls und die Menge Sauerstoff, die transportiert wird, ermittelt man mit der Spiro-Ergometrie (nicht zu verwechseln mit der Spirometrie, ohne Ergo). D.h. eine Spiroergometrie wäre eigentlich ganz nützlich im Zusammenhang mit dem möglichen Nutzen einer TB-OP. In der Praxis scheint eine solche Untersuchung aber wohl die exotische Ausnahme zu sein. Bei mir wurde leider vor der OP auch keine Spiroergometrie gemacht, sondern nur eine Laufband-Ergometrie mit Laktatmessungen. Die Sauerstoffaufnahme wurde nur geschätzt (aber immerhin).

Zwischenzeitlich habe ich auch mal eine Spiroergometrie gemacht (also mit den Bügeln noch drin). Ich werde die entsprechenden Werte bei Gelegenheit auch mal aufbereiten und posten. Die Werte von anderen würden mich natürlich auch interessieren.
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Bei der Beschäftigung mit meiner eigenen Spiroergometrie in meinem Blog bin ich auch auf ein sehr interessantes Beispiel gestoßen. Und zwar in einem Fachbuch zur Spiroergometrie eines Lungenfacharztes, das vor wenigen Tagen erschienen ist:

Dr. Klee, Holger: Spiroergometrie: Lern- und Ãœbungsbuch mit Vorschau-Funktion auf Amazon und beim Verlag

Dort geht es auf S. 149 ff. um einen 14jährigen Jungen mit Trichterbrust (Haller-Index 4,3, 181 cm, 69kg, BMI 21). Er klagt über Dyspnoe (=Atembeschwerden) bei mittlerer Belastung, so dass er kaum an sportlichen Aktivitäten teilnehmen kann.

Bei der normalen Lungenfunktion kam folgendes heraus: VC 4,1 l (82% des Solls), FEV1 3,6 l (87% der VC), TLC 5,1 l (81% des Solls). Der Lungen-Befund ohne weitere Diagnostik wäre sicher: keine Obstruktion, keine Restriktion, normale Lungenfunktion. (Dafür sind die Werte nicht schlecht genug.)

Da es hier aber um ein Spiroergometrie-Buch geht, wurde bei dem Jungen noch eine Spiroergometrie gemacht. Die Fragestellung für die Untersuchung lautete:

- Liegt eine Limitierung der Leistungsfähigkeit vor?
- Liegt eine restriktive Ventilationsstörung vor oder eine kardiale Einschränkung?
- Oder handelt es sich nur um einen Trainingsmangel?

Als Ergebnis kam folgendes heraus:
- Die Leistungsfähigkeit ist mittelgradig vermindert, ohne dass die zugrundeliegende Störung sofort ins Auge springt.
- Eine auf Grund der TB vermutet restriktive Ventilationsstörung liegt nicht vor.
- Vielmehr liegt eine kardio-vaskuläre Störung vor (Kompression von rechtem Vorhof und rechtem Ventrikel und so erniedrigte Füllung des LV, was nur unter Belastung im Sitzen/Stehen erkennbar ist)

Dass es das gibt, ist an sich nicht neu. Neu ist aber vielleicht, dass es so schön klar und deutlich an einem Beispiel in einem Fachbuch beschrieben ist. Und außerdem ist der Autor Lungenfacharzt und kein Chirurg, was vielleicht einen etwas objektiveren bzw. OP-unabhängigeren Eindruck macht.

Das muss natürlich nicht bei jedem mit TB zu solch einer Einschränkung bzw. Störung kommen. Aber bei entsprechendem Verdacht (TB + Leistungseinschränkungen/Beschwerden) bietet es sich eben an, diesem Verdacht nachzugehen und ihn auszuschließen oder zu bestätigen. Das trifft insbesondere für diejenigen zu, die zwar eine TB und Leistungseinschränkungen haben, denen die KK aber bisher die Kostenübernahme wegen normaler Lungenfunktion verweigert hat.

In der praktischen Umsetzung könnte es aber schwer werden, eine Spiroergometrie zu bekommen. Vorsichtshalber würde ich mir die beiden Doppelseiten aus dem Buch ausdrucken und mit zum Arzt nehmen. Damit müsste es dann eigentlich klappen (wenn die übrigen Voraussetzungen erfüllt sind).
Trichter-/Kielbrust Nuss-OP 22.10.2010 (43 J, m, 185 cm, 71,5 kg, Berlin-Buch Prof. Schaarschmidt)
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