Empathie!?!?

Begonnen von ex.pectus, 13. November 2014, 11:38:32

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ex.pectus

Empathie!?!?

Auch wenn dieser Begriff nicht sehr oft hier im Forum ausdrücklich genannt wird, spielt er doch sehr oft eine große Rolle. Vielleicht schadet es nicht, wenn man sich mal ein paar Gedanken macht, was damit eigentlich gemeint ist. Und vielleicht noch interessanter bzw. wichtiger: welche Wirkungen damit verbunden sind.

Ein anderer Punkt, der auch immer wieder hier im Forum eine Rolle spielt, ist die Frage, ob eine konkrete Trichterbrust eigentlich ausgeprägt genug ist, damit der Betreffende zu Recht unglücklich, unzufrieden, besorgt sein oder auch nur: hier im Forum Fragen stellen darf.

Und wenn man jetzt mal beides kombiniert, bringt mich das auf folgende Ãœberlegungen:


Wie ist das eigentlich mit der Empathie gegenüber Hypochondern?
(Wobei ich hiermit nur solche Hypochonder meine, die selber nicht der Meinung sind, dass sie hypochondrisch sind.)

Auf Wikipedia steht: wird im alltagsgebrauch oft als abfällige Bezeichnung gegenüber einem wehleidigen Menschen gebraucht.

Hm. Damit ist die Realität sicher zutreffend beschrieben, so werden Hypochonder angesehen. Aber liegt da nicht ein Widerspruch in sich: wehleidig und abfällig? Da leidet jemand, aber das löst kein Mitleid im Sinne von Mitgefühl aus.

Einen Satz weiter steht dann auf Wikipedia: "Dies ist vor allem in Hinblick auf von echter, klinischer Hypochondrie Betroffenen problematisch, da diese Menschen nicht wehleidig, sondern schwer psychiatrisch erkrankt sind."

Nochmal: Hm. Ja, stimmt. Für Mitleid und Mitgefühl der Menschen untereinander spielt es natürlich auch eine große Rolle, warum jemand leidet. Aber warum eigentlich genau? An der "Größe" des Leids kann es eigentlich nicht liegen. Denn man leidet ja nicht unbedingt weniger, wenn man sein Leid selbst verschuldet hat oder sich keine objektive bzw. nachvollziehbare Ursache für das Leid von anderen finden läßt. Trotzdem ist das Mitleid der anderen dann deutlich geringer.

Ãœberlegung am Rande: "sich in den anderen hineinversetzen":
Treffen sich zwei Hypochoder. Und sie verstehen sich prächtig, weil sich jeder so gut in den anderen hineinversetzen kann. Allerdings nicht in jemand, der ein Hypochonder ist, sondern in jemanden, der schwer krank ist. Sie fühlen sich gut verstanden, sind es aber eigentlich gar nicht.


Abgrenzung "Hypochonder" vs. Nicht-Hypochonder:
In der Theorie ist die Abgrenzung vermutlich ganz klar und einfach. In der Praxis habe ich da so meine Zweifel. Auch wenn natürlich viele sich selber ein Urteil zutrauen, über andere zu urteilen, ob sie Hypochonder bzw. hypochondrisch veranlagt sind oder nicht. Nur auf Grund von Informationen in einem Forum halte ich so ein Urteil für nahezu ausgeschlossen, auch wenn man, wie gesagt, natürlich eine entsprechende Meinung haben wird.

zurück zur Trichterbrust:
Gibt es Parallelen zur Trichterbrust? Meiner Meinung nach ja.

Zum Beispiel:
Ein "Hypochonder" hat objektiv einen nicht normalen Fleck auf der Haut. Er ist der Meinung, dass er Hautkrebs haben könnte, also schwer krank ist und leidet nun dementsprechend.
Ein TB-Betroffener hat objektiv eine nicht normale Brust. Er ist der Meinung, dass er von der Umwelt deshalb negativ*) behandelt werden wird und leidet nun dementsprechend.

->
D.h. ich sehe nicht nur eine Gemeinsamkeit, wenn sich jemand seine TB einbildet bzw. diese viel stärker wahrnimmt, als sie tatsächlich ist. Sondern ich sehe eben auch eine Gemeinsamkeit mit  "Hypochondern" darin, dass es Fehlvorstellungen über die tatsächlichen Auswirkungen des objektiven Befundes gibt.
Aber nur weil ich annehme, dass sich jemand unnötig Sorgen macht, heißt das noch lange nicht, dass ich seine Sorgen nicht ernst nehme oder gar der Meinung wäre, dass er gar keine Sorgen hat. Tja und trotzdem sind seine Befürchtungen in den meisten Fällen genau genommen unnötig.



*) Soweit die befürchtete "negative" Behandlung nur in dem Sinne angesehen wird, dass man mit einer TB von einer Jury in einem Fitness-Cover-Model-Contest nicht auf den ersten Platz gewählt werden wird, stimmt das natürlich. Aber je mehr die Befürchtung dahin geht, dass man mit einer TB von der Umwelt als "Aussätziger" behandelt werden wird, fehlt dieser Befürchtung jede reale Grundlage.


"negative" Reaktionen wegen einer Trichterbrust?
- ich kann mich nicht erinnern, wegen meiner TB/KB gehänselt worden zu sein
- Jonas, 19, Artikel im Tagesspiegel: "hatte noch Glück: Seine Mitschüler in Pankow hänselten ihn nicht."
- amadeus:"ich möchte Dir nur mal sagen, daß ich mit einem Mann verheiratet bin, der ne ziemlich starke und großflächige Trichterbrust hat. Ich kann nicht sagen, daß mich das irgendwie gestört hat."
...
...
...
usw. usf.


Gibt es eigentlich auch Berichte über negative Erfahrungen von Betroffenen, bei denen ein Nicht-Betroffener zustimmen würde, ja, da ist jemand 1.) tatsächlich negativ behandelt worden und 2.) wegen seiner TB so behandelt worden?

Mit ziemlicher Sicherheit wird es die geben. Fragt sich dann aber noch, wie repräsentativ die sind. Ich meine: Es gibt vermutlich viel mehr Berichte, dass Menschen das Handy auf offener Strasse geraubt wurde. Und?
Trichter-/Kielbrust Nuss-OP 22.10.2010 (43 J, m, 185 cm, 71,5 kg, Berlin-Buch Prof. Schaarschmidt)
2. OP=Bügelentfernung 20.11.2013 (Magdeburg, Dr. Lützenberg)
meine Trichterbrust-OP-Seite

Tamara

Ich wurde nicht gehänselt. Die Leute waren interessiert, so wie es immer ist, wenn etwas da ist, was sie nicht kennen. Aber negativ behandelt wurde ich deswegen nicht.
Links asymmetrische TB, Einsenkung 7,5 cm
03.12.2008 TB Korrektur nach Nuss/MIC Helios BB, 2 Bügel (Alter fast 16 Jahre)
03.12.2009 Entfernung 1. Bügel wegen Dislokation
03.08.2010 Entfernung 2. Bügel
12.08.2010 Einsetzung VAC Pumpe wegen      Wundinfektion
16.08.2010 Entfernung VAC Pumpe

ex.pectus

#2
Danke für das Feedback.

Kritische Stimmen werden vielleicht denken: mag vielleicht alles sein, aber das beweist doch gar nichts. Doch! Es beweist, vereinfacht ausgedrückt, dass es die positiven Erfahrungen/Beispiele tatsächlich gibt. Denn das wird von manchen verneint bzw. indirekt in Frage gestellt. Es kann natürlich nicht beweisen, dass es nicht doch auch negative Beispiele gibt. Aber eigentlich geht es auch gar nicht um Beweise, sondern eher darum, dass man sich selbst kritisch hinterfragt, wie real sind eigentlich Befürchtungen, dass andere negativ reagieren.

Und die "Realität" von Erfahrungen/Befürchtungen spielt ja auch sonst eine Rolle. Es macht einen Unterschied, ob tatsächlich eine Krebserkrankung im Raum steht oder man dies nur hypochondrisch für möglich hält. Oder es macht auch einen Unterschied, ob man tatsächlich Opfer eines Handy-Raubes geworden ist oder man nur ständig befürchtet, ein solches Opfer zu werden.

Jedenfalls nehme ich an, dass diesbezüglich ein breiter Konsens über den Unterschied besteht: reale Erfahrung vs. befürchtete Erfahrung bzw. dass es von Bedeutung ist, welche reale Grundlage die Befürchtung hat. Zumindest so lange es einen nicht selbst betrifft, also man nicht selbst derjenige ist, der vage "Gefahren" komplett überbewertet.


Hinweis zum Verständnis:
Das vorgesagte betrifft natürlich nur einen kleinen Teilbereich der komplexen Materie. Und selbst dieser Teilbereich ist dann auch noch sehr vereinfacht dargestellt, und natürlich nur aus meiner subjektiven Sicht heraus. Mir ging es vor allem um die (befürchteten) Reaktionen der Anderen, die von manchen TB-Betroffenen (also natürlich nicht von allen) für ihre Probleme verantwortlich gemacht werden. Also in erster Linie um die befürchtete Fremdwahrnehmung.

Und diese befürchtete Fremdwahrnehmung kann natürlich auch einen Einfluss auf die Selbstwahrnehmung haben. Wenn man denkt, andere würde die TB stören, wird sie einen selbst dann eher auch stören. Es kann natürlich sein, dass es einem völlig egal ist, ob die TB andere stört, aber man stört sich selbst daran.

Statt "stören" kann man sich das ja auch mal für andere Attribute überlegen: schön, asthetisch, attraktiv, hässlich, behindert, entstellt usw.

->
Wenn sich jemand noch nicht schön und attraktiv genug findet und noch schöner und attraktiver werden will, kann ich das sofort nachvollziehen. Das ist wohl bei fast jedem Menschen zumindest in bestimmten Situationen so (wohl auch bei denen, die sich schon für perfekt halten).
Wenn der gleiche aber schwer darunter leidet, dass er noch nicht so schön und attraktiv ist, wie er sich das wünscht oder wie er glaubt, auf Grund von Werbung sein zu müssen, welches Mitgefühl darf derjenige dann erwarten?

Und wenn sich jemand hässlich, behindert oder sogar entstellt findet und darunter leidet?
Spielt es dabei eine Rolle, inwieweit seine Meinung von seiner Umwelt geteilt wird (quasi, ob er mit seiner Meinung allein ist und sich das "einbildet")?
Trichter-/Kielbrust Nuss-OP 22.10.2010 (43 J, m, 185 cm, 71,5 kg, Berlin-Buch Prof. Schaarschmidt)
2. OP=Bügelentfernung 20.11.2013 (Magdeburg, Dr. Lützenberg)
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