Tag der OP/Intensiv-Station
Am Morgen wurde dann zuerst meine Bettnachbarin in den OP geholt. Ich nutzte, mit einem gemischten Gefühl aus Nervosität und Vorfreude auf das schon baldige „Danach“, die Zeit zum waschen und ankleiden, ein schickes OP-Hemd, ein paar sexy Thrombosestrümpfe und den Schlüpfer in Einheitsgrösse mit Riesen-Einlage. Mhm, schick. Dazu noch einen speziellen Beutel mit dem nötigen Hab und Gut für den Tag auf der Intensiv-Station gefüllt.
Und dann ging es los: mit dem Aufzug ab in den OP. Dort gab es zuerst einen Zugang an die Hand und darüber den ersten Beruhigungs-Cocktail zum Runterfahren und Entspannen. Um mich herum bereitete man sich rege auf das Setzen der PDA vor. Es waren bestimmt drei Ärzte involviert: einer brachte mich in Position und bemühte sich um Smalltalk, dabei friemelte ein anderer an der Kanüle an meiner Hand herum und noch ein anderer tastete meinen Rücken ab. Wie gesagt, ich war schon recht in Watte gehüllt und nahm alles nurnoch durch einen Nebel wahr, grundsätzlich aber war das Setzen der PDA wirklich halb so wild. Und ich war auch dankbar, dass alle um mich herum so beruhigend auf mich eingeredet haben. Ich kann mich an keine Maske oder dergleichen mehr erinnern, als die PDA sass durfte ich mich hinlegen und für den Rest war ich schon zu weggetreten.
Auf der Intensivstation bin ich aufgewacht. Geschafft. Schon jetzt. Die Zeit kurz nach der OP war natürlich noch sehr schwammig, aber ich kann mich an das ungemein erleichterte Gefühl erinnern. Mein Partner hat ein Foto von mir, auf dem ich mit erhobenem Daumen und Sauerstoffbrille müde in die Kamera grinse: ich kann mich beim besten Willen nicht daran erinnern, wann er das gemacht hat.
Insgesamt verbrachte ich 6 Stunden im OP, komplikationslos. Und dank der PDA haben mich die Schmerzen auch nicht aufgefressen: ich war im Nachhinein wirklich super dankbar für das Teil.
Ich hatte also neu: zwei Bügel in der Brust, zwei Stabilisatoren, Muskelversatz und zwei Silikon-Implantate. Meine zwei „neuen Freundinnen“, die noch ordentlich unter Spannung standen, geschwollen und auch partiell noch taub waren. Ladies, falls ihr euch an dieses Projekt wagt, erschreckt nicht: anfangs sieht es wirklich mehr nach übermässigem Steroidkonsum als nach Brüsten aus, die Brustwarzen hängen „irgendwo“, weil die Implantate sich in den nächsten Monaten erst noch setzen müssen und es fühlt sich auch wahnsinnig seltsam an. Trotzdem mochte ich die beiden auf Anhieb. ; - ) Und natürlich: endlich ein Brustkorb ohne Trichter und ohne abstehende Rippenbögen. Auf vorsichtige Handgriffe an die unteren Rippenbögen folgte anfangs immer ein Wahnsinns-Wow-Effekt. Zwar wurde die alte Ravitch-Narbe quer über dem Brustkorb fast vollständig wieder geöffnet, aber das war mir relativ egal.
Vier Drainagen gab es zudem, drei kleine und eine grosse Thorax-Drainage, einen Blasenkatheter, die PDA und einen Zugang an der Hand: recht verkabelt also fürs Erste.
Tag 2
Wie gesagt, vom Tag auf der Intensivstation hab ich kaum noch etwas präsent: ich erinnere mich noch an die unangenehme Geräuschkulisse um mich herum, ständig hat in der Nacht irgendwas getönt, und dann kam wieder jemand und hats ausgestellt, nur damit es dann nach einer Weile wieder von Neuem anfing zu lärmen. Schmerztechnisch gings mir recht gut: logisch, die PDA tat ihren Dienst, ich konnte mir per Knopfdruck selbständig Dosen an Schmerzmittel verpassen und ich bekam auch nicht zu knapp noch Schmerzmittel in Tablettenform. Das Ganze war für mich also absolut aushaltbar.
Am zweiten Tag kam ich dann wieder auf die normale Station, inkl. erster Visite mit Dr. Lützenberg. Er war sehr zufrieden mit Operationsverlauf und Ergebnis, zog mir die Thoraxdrainage und eine der kleinen Drainagen. Alles war verklebt und verpflastert... viel zu sehen gabs so noch nicht. Dafür gabs morgens und abends einen Cocktail aus Antibiotika, der scheinbar einen Abwehrmechanismus gegen das Fremdmaterial in meinem Körper in Schach halten sollte, etwas zum Inhalieren und einen CliniFLO, also so ein Teil zum Reinpusten, fürs Lungenvolumen. Das war nach der OP nämlich auch so richtig Baustelle: Ich war extrem kurzatmig. Teilweise fiel es mir schwer ganze Sätze vollständig, ohne einen Zwischenatemzug, auszusprechen. Das war schon recht krass. Aufstehen lag noch nicht drin, Aufrichten und an der Bettkante sitzen war kreislauftechnisch vorerst das absolut Höchste der Gefühle. Die Schmerzen lagen nach wie vor im Bereich des Aushaltbaren. Allgemein war der Prozess des Aufsetzens noch schwierig, weil ich Drehbewegungen vermeiden sollte... das brauchte kurz ein wenig Übung und die Hilfe der Schwestern.
Essen ging, aber so richtigen Appetit hatte ich nicht... selbst die heiss begehrten Mandel-Schokoladen-Kekse von Alnatura, die mein Freund mitgeschmuggelt hatte, konnte ich vorerst nicht recht essen.
Tag 3
Kennt ihr diese Szene aus einem der Werner-Filme, in der er im Krankenhaus liegt, einfach nur schlafen will... und ständig latscht ihm eine Schwester ins Zimmer? Genau so. Am Morgen um 6:30 Uhr gehts los. Tablettenrunde 1, Blutdruck und Temperatur, Visite, Frühstück, Verbandswechsel, Thrombosespritze, PDA-Check, Wasserflaschen-Check, Tablettenrunde 2 & Mittagessen, hin und wieder Kaffee und Kuchen, Boden feucht aufnehmen, Befindlichkeit checken, Tablettenrunde 3, Abendbrot, Begrüssung Nacht-Schwester. Der Tag ist durchgetaktet und manchmal mühsam, wenn man einfach nur in Ruhe vor sich hin vegetieren oder einfach nur schlafen möchte. Eine weitere kleine Drainage verabschiedete sich heute. Aufstehen war aber immernoch schwierig, denn der Countdown für meinen Kreislauf-Reboot startete mit jedem Anlauf aufs Neue. Sitzen ging, also beschränkte ich mich auch heute noch auf die Bettkante.
Tag 4
Heute verabschiedet sich der Blasenkatheter. Keine grosse Sache, beim Tragen kaum spürbar und das Ziehen wirklich nicht der Rede wert. Der Gang ins Bad ist allerdings kreislaufbedingt noch immer ein wenig tricky: das Waschen musste deshalb zügig ablaufen. Der Brustkorb fühlte sich extrem starr und unflexibel an, und beim Aufrichten machten sich auch partiell stechende Schmerzen verstärkt bemerkbar. Beim Lachen und Husten explodierte förmlich der Brustkorb, ein Schmerz gemischt mit einem inneren, reissenden Gefühl, aber wenn du lachen musst riskierst du halt die Sauerei. Just kidding. ;-P
Eine Freundin hatte mir das Buch eines Comedians für den Krankenhausaufenthalt geschenkt, grossartige Idee.
Tag 5
6:30 Uhr, Licht an,„Guten Morgen, wie haben Sie geschlafen?“ während mir das Thermometer schon halb im Ohr steckte. Das machte mich langsam echt fertig. Aufstehen und laufen klappt aber immer besser, ich wage mich mit meinem Partner raus auf den Flur und wir drehen dort ein paar Runden. Die letzte Drainage bleibt mir leider noch hartnäckig erhalten. Zwischendurch schaut ein schräger aber sympathischer Physiotherapeut vorbei, zeigt Atemübungen und bearbeitet meinen Rücken mit einer heissen Rolle... eine Wohltat.
Leider verabschiedet sich schon heute meine Zimmergenossin von mir, die die OP um einiges besser wegsteckte (es war vom Umfang her bei mir auch der komplexere Eingriff) und bei der der Genesungsprozess wesentlich schneller voran ging. Was zwanzig Jahre Altersunterschied so ausmachen...
Die Dosis der PDA wurde reduziert und zum Auffangen gab es mehr Schmerzmittel in Tablettenform.
Übrigens, nochmals zum Zimmer für Angehörige auf dem Gelände: mein Freund konnte hier leider keine einzige Nacht seit Ankunft richtig schlafen. Es ist ein altes Gebäude, und irgendwann mitten in der Nacht machte die Heizung dort einen riesen Lärm. Dass das irgendwann an die Substanz geht ist nachvollziehbar... die letzten zwei Nächte verbrachte er in einem Hotel ein wenig ausserhalb Ostercappelns. Empfehlenswert ist hier das Hotel Knostmann.
Tag 6
Endlich wurde ich von der letzten Drainage befreit, und auch die PDA verschwand im Laufe des Nachmittags. Bis auf die Antibiotika-Infusion morgens und abends war ich nun endlich frei von Schläuchen. Ein wunderbares Gefühl! Mein Freund und ich, wir drehen unsere gewohnte Runde um das Klinik-Gebäude, kleine Steigungen jagen meinen Puls aber schon rasch in die Höhe, kleine Pausen auf der nächsten Bank in Reichweite waren hilfreich. Den Schmerz hab ich weiterhin, bis auf das partielle Stechen, mit den Tabletten gut unter Kontrolle.
Tag 7 & 8 (Heimfahrt)
Eigentlich war der 7. Tag nurnoch zum Abschätzen der Schmerzbewältigung ohne PDA, und wir hätten auch feiertagbedingt die Klinik eh nicht verlassen können. Dies war dann am Vormittag des Folgetages möglich und wurde auch von der Ärzteschaft der Visite so für okay befunden. Und wir konnten es beide kaum erwarten.
Da mein Partner und ich die Länge des Aufenthalts nicht abschätzen konnten, entschieden wir uns für eine Anreise mit dem Auto aus der Schweiz, so waren wir flexibel. Wie wir mich die knapp 800 km wieder zurück chauffieren hatten wir in der Theorie mit einem Haufen Kissen und in halb liegender Position auf dem Beifahrersitz geplant, und das hat auch mit Hilfe der einen oder anderen Schmerztablette über den Tag recht gut funktioniert.
Die Zeit danach
Den gesamten Oktober war ich zu 100% krankgeschrieben, was auch absolut nötig war. Ich habe noch viel rumgelegen, bin spazieren gegangen und hatte Mühe mich mit meiner Schwächlichkeit zu arrangieren. In den ersten paar Wochen gings auch leider mit den obligatorischen Rückenschmerzen los... oft bin ich schon nachts/früh morgens dank ihnen wach worden. Super eklig. Vier Wochen gemäss Dr. Lützenberg zwingend auf dem Rücken liegend zu schlafen, das war zum Ende hin eine echte Tortur für mich. Nach dieser Frist wagte ich mich darum schon recht schnell wieder an die Seitenlage, die zu Beginn nur in den ersten paar Minuten wirklich angenehm war, aber immerhin. Aus der Klinik erhielt ich zudem noch für die erste Zeit Medikamente auf Opioid-Basis, damit ich schlafen konnte. Hat auch ziemlich gut funktioniert, bis die Rückenschmerzen wieder auf dem Vormarsch waren.
Intensiv ist auchnoch das beengende Gefühl der Bügel in der Anfangszeit, aber das legt sich. Und die Schmerzen... die kommen und gehen, insbesondere in den ersten paar Monaten. Ein hartnäckig stechender Schmerz kann nach ein paar Tagen so schnell wieder gehen wie er gekommen ist. Gebt euch und eurem Körper einfach genügend Zeit: das Ganze ist auch nach der Krankenhauszeit ein stetiger Prozess. Geduld ist das A und O.
Im November startete ich bereits wieder mit einem gemütlichen 40%-Pensum, also vier Halbtagen, in meinem Bürojob, und das hat auch recht gut funktioniert. Anfang November war ich schmerzmittelfrei.
Mitte November gab es einen kleinen Rückfall mit extremer Appetitlosigkeit (das war ohnehin nach der OP noch ein Problem, ich hatte ziemlich an Gewicht verloren) und Schwächegefühl, ich sah aus wie vom „The walking dead“-Set, d.h. ich hatte zwar keine Schmerzen, war aber wirklich zu nix zu gebrauchen. Glücklicherweise hatte ich kurz darauf bereits meinen ersten Nachkontrolltermin, Dr. Lützenberg verschrieb mir Cortison und einen Entzündungshemmer. Das hat gut geholfen und ich war bald wieder einigermassen fit. Und ab jetzt konnte ich quasi auch wieder alles tun, was mein Körper zuliess.
Heute
Die Muskulatur ist gefühlt immernoch im Winterschlaf. Sie war zu den Armen hin extrem stark verkürzt, sodass Gegenstände in Kopfhöhe und darüber hinaus ohne Hilfsmittel quasi nicht erreichbar waren. Das liess sich mit dehnen, z.B. vor dem TV, recht schnell wieder in den Griff kriegen, aber ich fühle mich auch jetzt noch wie ein Pudding und erlebe jedes bewältigte Krafttraining kurz darauf mit fiesen Schmerzen, gerade am oberen Rücken.
Die winterliche Kälte erzeugt manchmal so ein Gefühl des Zusammenschnürens bei mir, und dann knackt es in meinem Brustkorb, manchmal bei jedem Atemzug.
Und auch jetzt noch habe ich mehrmals täglich solche „Schnaufer“, d.h. ich atme unkontrolliert kurz tiefer ein... so als wenn man grad weinen würde, so kurze Einatmer oder Schluchzer. Wisst ihr, wie ich meine?
Achja, und niesen funktioniert irgendwie auch nichtmehr... jeder Ansatz endet als „Rohr-Krepierer“, und die Nieser wollen einfach nicht raus.
Die OP ist jetzt dreieinhalb Monate her, und gerade letzte Woche hatte ich wieder intensiver mit Schmerzen auf Höhe der Stabilisatoren zu kämpfen, inkl. Schmerzmittelgebrauch für die Nacht. Der Schlaf ist in dieser Zeit nicht sehr erholsam und manchmal fühlt man sich nach dem Aufstehen geräderter als beim Hinlegen. Doch von heute auf morgen verändert und bessert sich die Situation dann meist wieder, die Bügel arbeiten halt noch immer sehr intensiv.
Fazit
Zusammenfassend kann ich sagen, dass die Zeit in Ostercappeln wirklich sehr gut verlaufen ist. Ich bin wahnsinnig glücklich mit dem Resultat und fühle mich befreiter und entspannter mit der neuen Brust. Letztens war ich zum ersten Mal schwimmen, das war wunderbar. Ein neues Körpergefühl, an das ich mich auch bis jetzt noch gewöhnen muss, viele alte Muster und Körperhaltungen sind tief in einem verstrickt.
Neue, korrekt sitzende Unterwäsche zu kaufen war übrigens auch so ein Highlight. Bei meinen „zwei Freundinnen“ ist in den letzten Monaten noch viel passiert, sie bekommen mehr Form, das Gewebe passt sich zunehmend an die neue Ausgangslage an und wird weicher. Gemäss Dr. Lützenberg ist es auch hier noch bis zu ein halbes Jahr lang ein stetiger Prozess.
Das Ganze ist nun ein sehr persönlicher Einblick in meinen Werdegang geworden, und ich hoffe, er hilft dem einen oder anderen bei der eigenen Einschätzung, gerade wenn man sich für einen zweiten operativen Anlauf entscheidet. Es ist, wie erwartet, kein Spaziergang, aber für mich persönlich war das ein sehr wichtiger, guter Schritt. Für Fragen bin ich gern offen, einfach melden!