Verdrängung

Begonnen von Framussen, 27. Februar 2024, 17:59:03

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Framussen

Moin aus dem hohen Norden,

heute berichte ich mal wieder über meine Trichterbrust - Story.
Evtl. einfach nur, weil ich das ganze Thema ganz weit weg schiebe und es mich dann alle paar Jahre einholt. Es hilft, dann mal darüber zu schreiben und im Gegensatz zu meinem Tagebuch lesen es auch noch 1-2 Leute.

Es ist schon 20-25 Jahre her, als meine Eltern mich bei ihrem Hausarzt wegen meiner Trichterbrust untersuchen ließen. Ich war wohl 12 oder 13, inzwischen bin ich 37 Jahre alt (25 Jahre klingen nach so viel mehr, als sie sind). Es heißt seitens meiner Eltern, ich hätte damals Probleme gehabt. Blaue Lippen oder Ausdauerprobleme beim Sport. Soweit ich mich erinnere, habe ich im Vergleich zu meinen Mitschülern sportlich eher im oberen Drittel stattgefunden und viel Fußball gespielt. Ich war der schnellste auf 75? Meter, auch wenn böse Zungen behaupten, ich wäre zu früh gestartet.

Wie dem auch sei, ich drifte ab. Die Ärztin hat mich auf einem Bein springen lassen und anschließend in die Uniklinik Münster (UKM) geschickt.
Die UKM wirkte riesig auf mich, vor allem, wenn man aus der Kleinstadt kommt und vor diesen zwei Türmen des UKM steht. Hier wurden viele Untersuchungen gemacht, einige fand ich in meinem damaligen Alter sehr komisch: Z.B. Fieber messen, nacheinander in Mund, Achselhöhle und Po. Die Scham war groß. Außerdem wurde alles mit biegbaren Linealen vermessen und auf Papier gemalt, Belastungstests gemacht etc.
Sowas wie ein MRT wurde nicht gemacht. Am Ende war die Empfehlung bzw. das Vorgehen der Ärzte, denn wirklich eingebunden wurde man damals nicht, die Operation. Igendeine modifizierte Variante aus Erlangen nach Prof. Willital - die OP nach Ravitch wird dem wohl am nächsten kommen.

Am Anreisetag der Operation folgten weitere Untersuchungen sowie die OP Aufklärung. Der Arzt hat quasi einen Oberkörper aufgemalt und mit einem Kugelschreiber zwei vertikale Striche aufgemalt. Hier würden die Rippen durchtrennt, alles Routine und ganz einfach. Anschließend wird alles mit drei Titanstangen befestigt und nach drei bis vier Stunden sei das Kunstwerk vollbracht.

Ich kann meine Angst von damals noch gut nachfühlen, als ich auf meinem Krankenhausbett im Fahrstuhl die 16 Etagen heruntergefahren wurde in den OP. Ich hatte einfach nur Angst davor, nicht wieder aufzuwachen. Die Zeit danach und alles Andere war mir in dem Moment völlig egal. So wurde ich weinend in den Vorbereitungsraum geschoben. Eine Frau fragte mich, was ich habe. ,,Angst!, vor dem tot" Ob man das ausschließen könne, hatte ich gefragt. Ihre Antwort hatte mich nicht beruhigt.

Als nächstes erinnere ich das Wachwerden im Aufwachraum, Mein Korpus fühlt sich nicht mehr wie meiner an, als hätte man mir einen steifen, harten, irgendwie auch fremden Leib zwischen Hals und Hüfte genäht, irgendwie tot. Das war ein erschreckendes Gefühl, auf das ich nicht vorbereitet war.

Die Zeit danach war eine voller Schmerzen, Erbrechen, schlechter Nachrichten. Das ganze Kotzen hat unglaublich weh getan, ich habe die Narkose wohl eher schlecht verkraftet und auch sonst hatte ich heftige Schmerzen, die auch durch die Rückenmarkspumpe, mit der ich mich selber mit Schmerzmittel versorgen konnte, nicht besser wurden. Ich erinnere noch, dass untersucht wurde, warum die Pumpe nicht hilft und nach einigen Tagen auf Morphin umgestellt wurde, was eine unglaubliche Wärme und endlich Schlaf gebracht hatte. Das klingt alles nach jammern auf hohem Niveau, aber so war es damals uns so habe ich mich damals gefühlt.
Nach der Operation durfte man sechs Wochen nicht sitzen und musste eine bestimmte Technik lernen, um aufzustehen. Da es mir so schlecht ging, lag ich die meiste Zeit auf dem Rücken, der davon weh tat und irgendwann Hautpilz bekam. Dazu die Nachricht, dass ich die nächsten zwei Jahre keinen Fußball mehr spielen dürfe. Ich habe mich betrogen gefühlt, weil mir das nicht vorher gesagt wurde und Fußball mir damals alles bedeutet hat.

Irgendwann ging es mir natürlich auch besser und wir fingen an, den Schwestern das Leben schwer zu machen. Wir waren Teenager  und Jungs, die einige Wochen zusammen auf einem Zimmer waren, teils noch mit Dränagen und Infusion am Bett gefesselt. Wir haben es mehr oder weniger als unsere Aufgabe betrachtet, es dem Personal, liebevoll, schwer zu machen.
An dieser Stelle ein großes Lob an die damalige Kinderstation Etage 16 im UKM. Danke, für die Fürsorge und für alles, was ihr gegeben habt (oder noch heute gebt). Und danke an meine Zimmerkameraden. Ich denke manchmal an euch und frage mich, was ihr heute macht und wie es euch wohl ergangen ist. Das war eine prägende Zeit die bis heute ein großes Trauma und Mißtrauen auf der einen Seite und eine Faszination für Krankenhäuser, Ärzte usw., auf der anderen Seite mit sich gebracht hat.
Neben den Schmerzen und immer wieder schlechten Nachrichten waren es die Fürsorge und Sicherheit, die bei mir zu einer eigenartigen Beziehung zu Krankenhäusern geführt hat.

Als ich nach Hause durfte habe ich mich jeden Tag unsicher gefühlt. Münster war weit weg und meine Brust fühlte sich fremd und viele Bewegungen falsch an. Irgendwie sah auch die Narbe komisch aus.
Irgendwann Abends hatte meine Mutter wegen der Narbe ihren Hausarzt zu uns bestellt. Nachdem er sich die Narbe angeguckt hat, empfahl er uns, zurück nach Münster zu fahren.
Meine Narbe hatte sich entzündet und ich hatte in einem größeren Bereich eine Nekrose, die, in Münster angekommen, gleich ausgeschält wurde. Dadurch hatte ich an der Stelle, an der die Trichterbrust war jetzt ein Loch, aber anders als vorher. Man konnte tief in das Gewebe reingucken und einige sagen, man konnte den Titanbügel sehen.
Nach einigen Tagen wurde erneut operiert. Der Bereich, in dem die Wundheilungsstörung lag wurde weiträumig  rausgeschnitten. Dadurch musste die Haut unter größerer Spannung wieder zusammengenäht werden.
Die Narbe ist dadurch nicht sehr schön geworden und meine Brust ist bis heute bis inklusive der Nippeln taub.
Das ist nicht weiter schlimm, weil ich mir meine Brust niemals ansehen oder sie anfassen würde. Meine Freundinnen im Laufe der Jahre durften das auch nicht. Um ein versehentliches Ansehen oder Anfassen zu vermeiden gibt es viele Tricks, falls jemand Tips braucht.

Ich versuche den Rest jetzt mal zusammen zu fassen. Wenn jemand bis hier gelesen hat, wow. Mir wird das jetzt doch etwas zu viel Text und der ist wahrscheinlich für niemanden wirklich interessant.

Nach den Operationen war die Kripo Münster bei uns zu Hause, es wurde wegen einiger Verfehlungen gegen den damaligen Professor ermittelt.

Meine Trichterbrust war inzwischen wieder vorhanden (rezidiv), zusätzlich habe ich einen Brustkorb dazu bekommen, den ich immer als zu eng wahrnehme. Wenn ich in die Brust einatme fühlen sich die Rippen wie Gitterstäbe an, die steif und zu eng sind und die das Einatmen begrenzen.

Ich habe mich dann sehr lange nicht mehr mit der Thematik beschäftigt. Verdrängung war leichter, als alles in Frage zu stellen.
Irgendwann habe ich gegoogelt und bin auf dieses Forum gestoßen und auf Dr. Lützenberg und habe mir tatsächlich einen Termin in Magdeburg besorgt.

Meine Lungenfunktion ist mit ca. 80 % wohl ok. Mehr wird es wohl nicht, weil meine Rippen lt. dem Doc steif und mein Brustkorb eng ist. Das Herz ist mittig, etwas komprimiert durch die Enge zwischen Wirbelsäule und Trichterbrust. Der irgendwas Index liegt bei 3,3 - 4, nicht genau darstellbar, weil das MRT nicht alles zeigt.

Dr. Lützenberg würde die OP befürworten. Im besten Fall bevor ich 40 bin, weil die Rippen an Flexibilität verlieren würden. Er empfahl mir, mir die Meinung weiterer Ärzte einzuholen und mich im besten Fall für den Arzt zu entscheiden, dem ich vertrauen könne. Wie die Rippen sich bewegen, lasse sich nie genau vorhersagen und bei weiteren Eingriffen wäre es besser, man vertraue sich. Dafür, dass ich damals in Münster operiert wurde, fand er das Ergebnis noch ok. Das sieht wohl oft noch schlimmer aus! Er operiert wohl nicht ganz selten gescheiterte Operationen aus dieser Zeit, was in meinem Fall wieder ein Pluspunkt für Dr Lützenberg wäre. Kann bitte jeder Arzt ein bisschen Dr. Lützenberg sein? Hätte ich den Eingriff machen lassen oder sollte ich ihn in Zukunft machen lassen, dann wohl bei ihm.
Der Termin bei Dr. Lützenberg ist inzwischen auch schon wieder 4 Jahre her. 4 Jahre, in denen ich meine Brust aus meinem Leben verdrängt habe.

Vielleicht gelingt mir das in den nächsten 25 Jahren ja auch noch.



Fühlt sich euer Brustkorb auch wie ein Gefängnis an? Ein wenig, als wen man ein Korsett trägt, dass eng geschnürrt ist?

Entschuldigt bitte den langen Text, ist so passiert.

Wenn ich wüsste, dass ich nach einer weiteren Operation (oder zwei) das Korsett - Gefühl los wäre und mein Herz etwas weniger beim Schlagen spüren würde, vielleicht würde ich es machen. Vielleicht...

newlife

Hi Framussen,

das Gefühl sich in einem Gefängnis aus seinen eigenen Rippen zu befinden, kenne ich. Das war nach meiner OP in Erlangen irgendwann auch so.
Wurde danach auch nochmals operiert bzw. sogar zweimal und habe jetzt die Nuss-Bügel drin.

Das Gefängisgefühl habe ich dadurch nicht mehr. Der Brustkorb kann sich mehr bewegen und hebt sich beim Atmen auch wenn ich die Bügel als sehr unangenehm empfinde. Aber von meinem Gefühl her sind mir diese lieber als diese Verschraubungen und das ,,Gefängnis". Es ist einfach anders, aber etwas angenehmer.
Bekomme nun den schon mal den oberen Nuss-Bügel raus.

Ich wünsche Dir alles Gute und die richtige Entscheidung.
LG Newlife
32yrs, männlich

- 07/2011: Korrektur in Erlangen (5x Synthes)
- 06/2021: Rezidiv-OP in Ostercappeln (2x Nuss-Bügel)
- 11/2022: Kleinere Nachkorrektur in Ostercappeln
- 03/2024: Entfernung oberer Nuss-Bügel in Ostercappeln

LeaLechera

#2
Hallo Framussen,

zu aller erst: Schrecklich, was du erleben musstest!
und zweitens: Kein Wunder, dass du dich mit dem Thema nicht weiter beschäftigen möchtest.
aber meine Empfehlung: Beschäftige dich damit – Verdrängen ist im Endeffekt viel anstrengender.

Ich (25) hatte auch 25 Jahre lang eine Trichterbrust und habe sie verdrängt und habe mir immer gesagt 'du musst sie akzeptieren'. Ich habe mich (Aufgrund eines Traumas meiner Mutter) nie über die Trichterbrust informiert, geschweige denn über irgend welche Operationsmöglichkeiten gelesen. Ich habe sie 24 Jahre verdrängt. Als würde sie nicht existieren, habe ich sie immer überdeckt, Schwimmbäder etc. vermieden, den Blick in den Spiegel vermieden etc.

Und als mein Freund mich darauf angesprochen hatte, dass er glaubt ich habe eine schlechte Beziehung zu meinem Körper, als wäre ich mit meinem Körper nicht connected, konnte ich nicht mehr aufhören zu weinen. Und so bin ich dann Stück für Stück ans Thema ran gegangen und habe mich darüber informiert, war in zwei Kliniken für zwei unabhängige Meinungen und habe die Operation am 6. Oktober 2023 machen lassen.
Und ich kann dir sagen: es war die beste, aufregendste und psychisch belastendste Entscheidung meines Lebens.

Da ich das Thema 25 Jahre lang verdrängt habe, und ich auch erst vor einem Jahr den Zugang zum Thema gefunden habe, habe ich mir gedacht: Ich will meine Masterarbeit darüber schreiben. Momentan suche ich Menschen die eine Trichterbrust hatten/haben und möchte mich sehr gerne über das Thema austauschen.
Ich habe schon einen Blogbeitrag angefangen, aber wenn du das hier liest und Bock hast Mal darüber intensiver und privater zu schreiben/quatschen und sich auszutauschen, dann wäre ich da sehr offen für. Kannst gerne eine Mail schreiben: lealechera@gmail.com - würde mich sehr freuen! :) Oder schalte montags 19-20 Uhr in den Zoom Call rein.
Trichterbrust mit Haller-Index von 7,3 wurde mithilfe von 3 Bügeln in Großhansdorf von Herr Dr. Sönke von Weihe am 6. Oktober 2023 operiert.
Ich suche Interview-Partner:innen für meine Masterarbeit – melde dich gerne!