Auf dem Such- und Beratungsportal von DER TAGESSPIEGEL und gesundheitsstadt berlin ist zur Diagnose der Trichterbrust aktuell (02.03.2012) folgendes zu lesen:
| Diagnose Ein erster und deutlicher Hinweis auf eine Trichterbrust ist das äußere Erscheinungsbild. Allerdings gibt es verschiedene Schweregrade des Fehlwachstums. Diese werden mit dem sogenannten Hallerindex erfasst. Dieser wird mithilfe einer Computertomografie ermittelt und entspricht dem Quotienten zwischen dem inneren Querdurchmesser des Brustkorbs und dem geringsten Abstand zwischen dem Brustbein und der Wirbelsäule. Der Normalwert liegt, abhängig vom Alter und vom Geschlecht des Patienten, zwischen 2 und 3, ab einem Wert von 3,2 besteht eine hochgradige Trichterbrust. Behandlungsbedürftige Beschwerden könnten aber auch schon bei einem geringeren Wert auftreten, so dass der Hallerindex nicht alleine ausschlaggebend sei, sagt Chefarzt Schaarschmidt. http://www.gesundheitsberater-berlin.de/kliniken_diagnosen-therapien/trichterbrust/
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Im Gegensatz zum ersten TAGESSPIEGEL-Artikel (http://web517.s13.okayspace.de/Trichter/index.php/topic,1212.0.html) wird hier jetzt zwischen verschiedenen Schweregraden differenziert.
Doch wie werden die Schweregrade unterteilt und bewertet? - Wenn man sich den ersten Satz im Zusammenhang mit dem Rest ansieht, muss man das so verstehen, dass es auch Formen einer Trichterbrust geben kann, die man nicht am äußeren Erscheinungsbild erkennen kann. Das wäre wohl die neu einzuführende Kategorie der
unsichtbaren Trichterbrust.
Ab einem Haller-Index von 3,2 soll bereits eine hochgradige Trichterbrust bestehen, nur bis 3 sei normal. - Welchen Haller-Index haben dann leichte bzw. mittlere Formen der Trichterbrust? Die haben dann wohl alle einen Haller-Index von 3,1 gemeinsam. Und die
unsichtbare Trichterbrust wird wohl einen Haller-Index von 3 oder weniger haben.
Selten so einen Unsinn gelesen. Ich bin gespannt, ob es in Zukunft noch absurder wird (und hoffe, niemanden zu nerven).
Das ganze scheint einen historischen Hintergrund zu haben und auf die Einteilung von Haller zurückzugehen (s.
PDF (http://utahhealthsciences.net/upload/371/2717_Pectus_CT_scan_article.pdf), was die obige Zusammenfassung aber nicht besser macht).
Zum Verständnis: Der Haller-Index errechnet sich aus dem inneren Querdurchmesser des Brustkorbs dividiert durch den geringsten Abstand zwischen dem Brustbein und der Wirbelsäule.
(http://lh5.googleusercontent.com/-0e4gzKJhoGY/T1HiusrBjLI/AAAAAAAABBk/lFpqUKtx670/s800/CT%2520scan.jpg)
by Marcovici, Peter A.; LoSasso, Barry E.; Kruk, Peter; Dwek, Jerry R. (http://www.springerimages.com/Images/MedicineAndPublicHealth/1-10.1007_s00247-011-2031-5-1#)
MRI for the evaluation of pectus excavatum, Pediatric Radiology Vol. 41 Issue 6 (http://www.springerlink.com/content/8q230q48q3126261/fulltext.pdf)
Lizenz: Attribution-NonCommercial 2.5 Generic (http://creativecommons.org/licenses/by-nc/2.5/)
Wenn man bei dem Querdurchmesser von 29,79 cm aus dem Bild den Brustbein-Wirbelsäulen-Abstand ändern würde, würde sich der jeweils folgende Haller-Index ergeben:
Querdurchmesser | Brustbein-Wirbelsäulen-Abstand | Haller-Index |
29,79 cm | 9,31 cm | 3,2 |
29,79 cm | 9,61 cm | 3,1 |
29,79 cm | 9,93 cm | 3,0 |
29,79 cm | 11,92 cm | 2,5 |
29,79 cm | 14,90 cm | 2,0 |
Daran sieht man, wie sich die Unterschiede im Haller-Index in tatsächlichen Zentimetern auswirken. Wie man bei 3,2 von einer hochgradigen Trichterbrust sprechen kann, wenn der Unterschied zu 3,0 wie hier im Beispiel nur 0,62 cm, also knapp 6 Millimeter beträgt, ist mir ein Rätsel.
Zitat von: ex.pectus am 02. März 2012, 13:32:52
Selten so einen Unsinn gelesen. Ich bin gespannt, ob es in Zukunft noch absurder wird (und hoffe, niemanden zu nerven).
Ich bin da ganz bei dir. Wer schon mal selbst versucht hat einen Haller Index zu bestimmen, weiß wie schnell man den um 0,2 schwanken lassen kann... in der Breite etwas mehr, in der Höhe etwas weniger... und schon wird man vom Normalo zur hochgradigen TB.
Wie würdest du den Absatz zur Diagnose formulieren? So eindeutig wie mit einer Zahl lässt sich eine mögliche TB ja kaum beschreiben.
Zitat von: Müllie am 02. März 2012, 23:01:33
Wie würdest du den Absatz zur Diagnose formulieren? So eindeutig wie mit einer Zahl lässt sich eine mögliche TB ja kaum beschreiben.
Zusammengefasst ist der oben zitierte Text zur Diagnose meiner Meinung nach so zu lesen:
- Hinweise auf Trichterbrust durch äußeres Erscheinungsbild ergibt
Verdachtsdiagnose- Überprüfung und Bestätigung der Verdachtsdiagnose sowie Schweregradeinteilung (allein) durch Bestimmung des Haller-Index
- Haller-Index
ab 3,2 ergibt: Diagnose: behandlungsbedürftige, hochgradige Trichterbrust- Haller-Index
unter 3,2 ergibt: möglicherweise behandlungsbedürftige TrichterbrustWobei "behandlungsbedürftig" im nächsten Abschnitt des Artikels (http://www.gesundheitsberater-berlin.de/kliniken_diagnosen-therapien/trichterbrust/) unter Therapie erläutert wird:
Operation.
Mit den Maßstäben, die an ein Gesundheits- und Beratungsportal anzulegen sind, ist das grottenfalsch und gehört aus dem Verkehr gezogen!
Der Sinn eines solchen Portals sollte ja wohl nicht darin bestehen, Patienten die Behandlungsbedürftigkeit von Krankheiten einzureden und die dazu passenden Ã,,rzte zu empfehlen.
Man könnte es beispielsweise so wie Dr. Lützenberg formulieren:
| Diagnostik Die Beurteilung der Trichterbrust erfolgt aus visueller, radiologischer, psychologischer und physiologischer Sicht. Wir müssen diagnostizieren, welche Veränderungen die Trichterbrust im Inneren des Brustkorbs ausgelöst hat. Der Rippenkäfig schützt die Vitalorgane Herz und Lunge, die bei der Trichterbrust komprimiert werden. Typische Untersuchungen sind: •Klinische Untersuchung und Anamnese •Vermessung der Ausdehnung des Trichters •Echokardiographie (Ultraschall des Herzens) •Belastungstest •Atemfunktionstest •Magnetresonanztomographie (MRT) des Brustkorbs (eine bildgebende Untersuchung) zur Bestimmung des Schweregrad-Index des Trichters •Ggf. psychologische Untersuchung http://chi.charite.de/patienten-information/krankheiten-therapien/lungenchirurgie/trichterbrust/symptome-diagnostik.html
|
Im dritten Satz würde ich statt "komprimiert werden" eher "komprimiert oder verdrängt werden könnten" schreiben.
Man kann den Haller-Index ja gerne als zusätzliches Hilfsmittel und als objektiven Vergleichwert ermitteln, aber nicht als alleiniges Diagnosekriterium. Für letzteres ist er nicht geeignet.
PS: Für alle, die Probleme mit der KK haben, weil sie knapp unter 3,25 sind: Von Dr. Jaroszewski (aka Dr J auf pectusinfo.com) gibt es einen Artikel, in dem die Grenze schon bei 3,1 gesetzt ist. Und dazu eindrucksvolle 12 Fussnoten! (s. PDF (http://jabfm.org/content/23/2/230.full.pdf), S. 233)
Zitat von: ex.pectus am 03. März 2012, 15:30:09
PS: Für alle, die Probleme mit der KK haben, weil sie knapp unter 3,25 sind: Von Dr. Jaroszewski (aka Dr J auf pectusinfo.com) gibt es einen Artikel, in dem die Grenze schon bei 3,1 gesetzt ist. Und dazu eindrucksvolle 12 Fussnoten! (s. PDF (http://jabfm.org/content/23/2/230.full.pdf), S. 233)
Also auf Seite 233 steht tatsächlich 3,1.
Auf Seite 235 geht es noch einen Tick niedriger: >3,0, und zwar als ein Operationskriterium. War mir vorher gar nicht aufgefallen. Aber dank der aktuellen Dissertation (http://www.opus.ub.uni-erlangen.de/opus/volltexte/2013/4503/pdf/Felicitas_Zepnik_Dissertation.pdf), S. 26:
| Generell sollte eine Überweisung an einen Chirurgen zur Beratung erfolgen, wenn ein Patient eines der folgenden Kriterien aufweist:
- Bemerken von Symptomen durch die Trichterbrust,
- Verschlechterung der Brustkorbdeformität,
- paradoxe Bewegungen der Brustwand bei tiefer Einatmung,
- CT-Schweregradindex über 3,
- Herz- und oder Lungenverdrängung,
- restriktive Atemwegerkrankung aufgrund der Trichterbrust,
- Mitralklappenprolaps und
- signifikante Beeinträchtigungen des Körperbildes.
Den meisten Patienten wird eine operative Korrektur der Trichterbrust dann empfohlen, wenn sie an mindestens 2 der oben genannten Symptomen leiden. Eine rasche Verschlimmerung des morphologischen Befundes oder ein Fortschreiten der Beschwerden kann die Operationsindikation stützen |
Und als Beleg für diese Aussagen wird dann auch wieder die bereits genannte Arbeit von Jaroszewski aufgeführt, in der steht:
| Table 2. Criteria for Surgical Referral 1. Symptomatic 2. Progression of the deformity 3. Paradoxical movement of the chest wall with deep inspiration 4. Computed tomograph with severity index 3.0 5. Cardiac compression or displacement 6. Pulmonary compression 7. Abnormal pulmonary function studies showing signiï¬cant restrictive disease 8. Mitral valve prolapse 9. Any cardiac pathology secondary to compression of the heart 10. Signiï¬cant body image disturbance History of failed previous repair Abnormal cardiopulmonary testing ... Most patients will be considered for surgical correction if they demonstrate at least 2 of the listed criteria |
Die Hervorhebungen sind natürlich von mir.
Und apropos KK: Die 3,1 bzw. 3,0 für den Haller-Index in medizinischen Fachaufsätzen könnte man zwar als Argument gegenüber den KK bzw. dem MDK als Argument verwenden. Meiner Meinung nach aber fast nur als Bluff denn als überzeugendes Argument. Man sollte also keine falschen Hoffnungen haben.